Das Auftreten dieser jungen Pianistin im Jahr 2020 war etwas sehr Besonderes. Fast war es so, als wären einige ihrer prominenten Kollegen zum Wettbewerb der Superlative für die 1995 geborene und im vogtländischen Plauen aufgewachsene Johanna Summer angetreten. Die hatte gerade Geist und Kompositionsfragmente des Romantikers Robert Schumann in ihrem Album „Schumann Kaleidoskop“ durchleuchtet, verfremdet und zum Schillern gebracht. Igor Levit hörte „eine herausragende Jazzpianistin. Sie ist so zentriert und bei sich, geht so souverän und frei mit Material um und trifft doch die ganze Zeit ihren eigenen Ton“. „Skandalös gut!“, formulierte Malakoff Kowalski seine Bestnote, und Altmeister Joachim Kühn staunte über Musik „voller Fantasie und ohne Kategorie. Von der europäischen Klassik kommend, mit wundervollem Anschlag, schafft sie etwas Vollkommenes, Eigenes“.
Genau um dieses Eigene geht es. Es macht die Kunst der Johanna Summer so besonders, wertvoll und außerordentlich. In einer Vielzahl von Konzerten quer durch Europa wurde das bestaunt und bejubelt. Bis zu ihrem sechzehnten Lebensjahr beschäftigte sie sich ausschließlich mit klassischer Musik. Dann studierte sie in Dresden Jazzklavier und lernte durch Schlagzeuglegende Günter Baby Sommer, mehr und mehr die Improvisation zu schätzen. Dies nun traf sich aufs Produktivste mit einer Charaktereigenschaft der Pianistin: Mut und Interesse für Dinge zu haben, die man noch gar nicht kann. Konsequent arbeitete Johanna Summer fortan daran, aus der Flut der Informationen, die ihre Generation mehr ausbremst als anfeuert, das zu filtern, was weiterbringt, und daraus dann ihres zu destillieren. Also einen Weg vom Objekt zum Subjekt zu finden.
So wurde auf Ihrem zweiten Album „Resonanzen“ 2023 improvisiert über Bach, Schubert, Ligeti, Beethoven, Grieg, Scriabin, Tchaikovsky u. a. Dieses inzwischen um die Komponistinnen Germaine Tailleferre und Grażyna Bacewicz ergänzte Konzept, klassische Leitfiguren in die Gegenwart weiterzudenken, erwies sich als tragfähig. So sehr, dass die Pianistin in einer Vielzahl von Live-Auftritten eine geradezu somnambule Souveränität darin entwickelt hat, abseits
Wie nebenbei entwickelt diese faszinierende Künstlerin aus ihrem so selbstverständlichen Zusammenklang von amerikanischem Jazz und europäischer Klassik wie aus These und Antithese ihre Synthese. Ihre Auftritte sind keine Bilderstürmerei, kein Abarbeiten eines Konzepts und schon gar keine Aneinanderreihung von Kabinettstücken. Dazu ist sich diese Pianistin der Vitalität ihrer Sache viel zu gewiss. Sie mag besonders die Momente, in denen sich ein Stück dann wie von allein spielt und dabei seine Reibeflächen und kleinen Rätsel behält.
Das erworbene Selbstverständnis der Johanna Summer ist eine Voraussetzung für ihr müheloses Mäandern, für ihr so selbstverständliches Hin und Her zwischen klassischem Konzertsaal und Jazzclub. Es ist einmalig, wie unangestrengt, konsequent und logisch sie dem Jazz einschreibt, was ihrem klassischen europäischen Bildungsweg immanent war. Ihre Improvisationen klingen dabei wie Kompositionen. Und umgekehrt. Der Weg ist das Ziel, und für ihr Unterwegssein hat sie neue Pläne, die alle von einer vorurteilsfreien Demut vor der Musik grundiert sind. Insbesondere dem Dialog mit klassischen Pianistinnen und Pianisten will sie sich widmen. Wir dürfen gespannt sein …
Ulrich Steinmetzger